Ein retrospektiver Kommentar von Julian Balkowski, Lionizer, zum Interview „Digitalisierung & Nachhaltigkeit: Was gibt es Neues?“ mit Prof. Susanne Hensel-Börner
Für den SoftwareForFuture Podcast der Lionizers konnte Nils Löwe am 17. März 2021 erneut Prof. Hensel-Börner, die Initiatorin und Studiengangsleiterin für den Master „Digital Transformation & Sustainability“ an der HSBA gewinnen.
Als Ultra-Podcast-Fan höre ich das Interviewformat der Lionizers regelmäßig und nehme immer sehr viele Impulse für meinen Alltag und mein Berufsleben mit. Hier stelle ich einige meiner Eindrücke aus dem Interview mit Prof. Dr. Hensel-Börner vor.
Von dröge zu cool
Beim wiederholten Hören des Gesprächs hat mich eine Aussage besonders fasziniert:
Ich habe noch von niemandem gehört, dass es eine Sustainability 2.0, 3.0 oder 4.0 gibt. Alles andere, Digitalisierung 4.0, Industrie 4.0 gibt es …
Ich fragte mich, warum es Sustainability 2.0 noch nicht gibt, denn für mich klingt es wie eine logische Folge. Seitdem ist viel passiert. In diesem Jahr schließen die ersten Studierenden den Master „Digital Transformation & Sustainability“ ab.
Wie kam es zu diesem erfreulichen Wandel von „dröge“ zu „cool“? Und gibt es jetzt doch Sustainability 2.0? Und was wird dafür gebraucht? Aus meiner Sicht gibt das Interview hier spannende Orientierungspunkte.
Smart Home, Smart City, Smart Everything?
Digitalisierung ist einer der Grundbausteine für die Sustainability 2.0. Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, da fast alle Gesellschaftsbereiche, die zu vermeintlich „besseren Versionen“ umgestaltet werden, digitale Technologien verwenden.
Das finale Stadium wäre folgerichtig die „Welt 2.0“, aber das wird wohl noch dauern … Aber die Digitalisierung hat die Nachhaltigkeit „cooler“ gemacht. Hier stimme ich der Professorin zu:
…, dass die Digitalisierung ein richtiges Trittbrett für die Nachhaltigkeit war, um dem (Ganzen) richtig Schwung zu geben. … (Sie) war irgendwie das viel hippere Thema.
So entstanden beispielsweise hippe digitale Anwendungen und Plattformen, die die Mitmach-Schwelle für den Endverbraucher herunter setzten und anfingen Spaß zu machen. Ganz konkret wird die Sharing Economy aufgeführt: Der Besitz eines Autos ist „nichts Neues“, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht für jede Person realisierbar. Ergo hat man den Autobesitz mittels Carsharing einfach verallgemeinert. Jedenfalls ist das meine Interpretation der Sharing-Economy.
Laut Hensel-Börner kann auch die Energiewende nur durch digitale Mittel gemeistert werden. Ein Grund hierfür ist die Notwendigkeit das fluktuierende Energieangebot mit der Nachfrage zeitlich genau abzustimmen. Stichwort „Smart Home, Smart City, Smart Everything“.
Sie benennt auch ganz alltägliche Dinge, die skalierbar und dadurch auch quantifizierbar gemacht werden. Viele Studierende und Hochschul-Alumni können sich sicherlich daran erinnern, eine Hausarbeit mit einer maximalen Seitenanzahl abgeben zu müssen. Die Professorin hingegen richtet an sich selbst und ihre Studierenden den Anspruch, nur eine bestimmte Dateigröße für Präsentationen und ähnliche digitale Arbeiten zu nutzen.
Weitere positive Effekte sieht Hensel-Börner bei Unternehmen, die Green IT für sich entdecken: Die Vorteile einer schlanken Programmierung (lean coding) werden von Unternehmen stärker wahrgenommen und ausgeschöpft. Der geringere Energie- und Ressourcenbedarf bei der Hardware spart letztlich Geld. Und um die IT ganzheitlich grün zu gestalten, wird dann auch die Energie aus regenerativen Quellen wie Solar- und Windkraft bezogen.
Ich schließe daraus, dass viele Potentiale erst durch die Digitalisierung genutzt oder gänzlich ausgeschöpft werden können. So auch für den – nun coolen – Nachhaltigkeitsbereich.
Es ist nicht alles Gold was glänzt
Mit der steigenden Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik in diversen Bereichen der Gesellschaft wachsen auch die Risiken. Häufige Erwähnung finden die ausufernde ineffiziente Energienutzung oder die potentielle Gefahr von Rebound-Effekten.
Ganz konkret kann man es an der Energiebedarfsentwicklung der Kryptowährungen – allen voran Bitcoin – festmachen. Diese verbuchen mittlerweile einen Energieverbrauch von 118 TWh (Quelle: Centre for Alternative Finance der University of Cambridge). Auch Hensel-Börner bestätigt, dass das Internet einen hohen Stromverbrauch aufweist und laut einer Studie von 2014 ca. 4,6% des globalen Bedarfs einnimmt. Allerdings betont sie dabei:
Wenn wir die … Digitalisierung nur verteufeln, dürfen wir die Chancen nicht vergessen, nur weil es auch Risiken gibt. Alles hat immer seine Chancen und Risiken. Wir brauchen eine kritische Reflexion.
Dessen müsste man sich bewusst sein, um die positiven Effekte der digitalen Technologien im Bereich der Nachhaltigkeit nicht zu reduzieren oder sie gar zunichte zu machen.
Für Sustainability 2.0 bedeutet das, die genutzte Technologie von vornherein agil und flexibel genug zu gestalten, damit sie sich ändernden Bedingungen und weiteren Ansprüchen einer modernen Gesellschaft fortlaufend anpassen kann. Ferner muss auch von Beginn an darauf geachtet werden, neue Technologien möglichst ökologisch-ressourcenschonend zu bauen und anzuwenden. Damit hält man Rebound-Effekte und Energieverbrauch auf einem Minimum.
Sustainability 2.0 muss also eine resiliente und suffiziente Gestalt annehmen, um die ökologische und ökonomische Harmonisierung zwischen der zunehmenden „Smart Society“ und Nachhaltigkeit zu schaffen.
Raus aus der Komfortzone und Fehler machen
Natürlich gehört eine große Portion Mut dazu, den Klimawandel mit neuen Ideen anzugehen und sich hierbei von Altbewährten abzuwenden.
Vor allem bei polarisierenden Themen wie der Nutzung von Atomenergie oder Batteriespeichersystemen für die Energiewende erscheint es mir so, dass manchen Personen genau dieser Mut, sich mit Neuem auseinanderzusetzen, schlichtweg fehlt bzw. es bequemer ist, in der Komfortzone zu bleiben.
Wie auch Hensel-Börner verdeutlicht, tut es verdammt weh, sich einzugestehen, dass man auf das falsche Pferd gesetzt hat und dass man Neues angehen soll. So waren sich die Interviewpartner des Podcast auch einig, dass wir es hierzulande eher vermieden haben eine richtige „Kultur des Scheiterns“ aufzubauen.
Überspitzt gesagt: Wehe dem, der eine Lücke im Lebenslauf hat. Wehe dem, der nicht bereits 4 Jahre Erfahrung für eine Programmiersprache hat, die es erst seit 2 Jahren gibt. Wehe dem, der nicht auf der 30-under-30-Forbes-Liste ist. Es hat meiner Meinung nach einfach zu lange gedauert, bis die „Fuckup“-Szene auch in Deutschland Fuß fasste.
Traurigerweise macht sich diese bisher fast nur in der Startup-Branche breit. Dabei lernt man von Fehlern so viel mehr als ständig nur nach sicheren Wegen zu handeln. Ich glaube, dass innerhalb einer Komfortzone Innovationen eher ausgebremst werden, weil diese häufig risikobehaftet sind und vielleicht sogar zu einer blutigen Nase führen könnten. Und das meine ich sowohl ökonomisch als auch psychologisch.
Mut zum Fehlermachen und die gewonnen Eindrücke für weitere innovative Wege zu verwenden wird ein kritischer Hebel für die Entwicklung der Sustainability 2.0 sein. Auch das gehört zur resilienten Ausgestaltung der neuen Nachhaltigkeitsversion dazu.
Die Digistainables kommen!
Den Mut, innovativ und vorbereitend an künftige Problematiken heranzugehen, zeigt Hensel-Börner selbst vorbildlich: Als Initiatorin und Leiterin des neuen Studiengangs „Digital Transformation & Sustainability“ an der HSBA ist sie eine Pionierin, die bundesweit erstmals diese zwei breiten Fachgebiete zu einem Studiengang gebündelt für Studierende anbietet.
Auch innerhalb der Studierendenschaft bemerkt sie eine Einstellungsänderung: Sie erwähnt einen Studierenden, der sein Studium mit der Schwerpunktverteilung 80% Digitalisierung und 20% Nachhaltigkeit begonnen hatte und bei dem sich nach knapp einem Semester alles nur noch um Letzteres drehte.
Dass das Thema Nachhaltigkeit jetzt also cooler für die sich selbst „Digistainables“ nennenden Studierenden wird, kann man gut in ihrem selbst kreierten Blog sehen: Sie schreiben mit einer Leidenschaft und Transparenz über Projekte und Hausarbeiten, dass es mir richtig Spaß macht, die einzelnen Einträge zu durchforsten.
Vor allem die Praxisbeispiele, die einen suffizienten Ausbau der Digitalisierung durchleuchten sowie die Konzeption einer ganzheitlich nachhaltigen Website von den Studierenden Jana Backmann und Alena Werner beeindrucken mich. Vielleicht werden aus diesen Studierenden wichtige Neu-Entscheiderinnen, die die eigene Learning Journey vom „Duell zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ zum „Duett“ in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung zur Sustainability 2.0 widerspiegeln können.
Sustainability 2.0? Ja, bitte!
Letztlich hat Prof. Hensel-Börner es bereits angedeutet: Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, wirkte auf die neue Generation von EntscheiderInnen zu komplex und dröge. Aber durch neue Technologien und deren gesellschaftlichen Einfluss macht das Zusammenspiel heute viel mehr Freude und es sind auch viel mehr Chancen für den nachhaltigen Wandel erkennbar.
Mein Fazit aus dieser Podcastfolge ist, dass die Digitalisierung dem Willen zum Klimaschutz einen Schub und einen einfacheren Zugang verliehen hat.
Um das Risiko der Rebound-Effekte bei der wachsenden Durchdringung der Digitalisierung in der Gesellschaft zu verkleinern, müssen wir Innovationen und neue Technologien kritisch reflektieren. Das heißt, dass schon bei der Entwicklung neuer Technologien der Ressourcen- und Energieverbrauch dieser Anwendungen weitestgehend gering gehalten werden sollte.
Zudem sollten die Innovationen ein möglichst flexibles und agiles Design aufweisen, um sich den kontinuierliche Umweltveränderungen und allgemein wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen anpassen zu können.
Kurzum, die Sustainability 2.0 muss eine suffiziente wie resiliente Gestalt annehmen und die digitale Transformation nutzen.
Hierzu brauchen die Treiber und Multiplikatoren der zukünftigen Technologien Mut. Nicht nur um dieses Neue anzugehen, sondern auch, um Fehler einzugestehen und aus diesen zu lernen. Gebraucht werden also Pioniere, die diese wichtigen Entscheidungen guten Gewissens und aus Überzeugung treffen.
Die zunehmend wachsende Community im Bereich der Nachhaltigkeit und die daraus resultierenden Anpassungen in Studium und Berufsleben wird die Denkweise der künftigen EntscheiderInnen in Politik und Industrie verändern.
Das allgemeine Geschäftsgebaren wird künftig durch Umwelt- und Klimaschutzbemühungen charakterisiert. Davon bin ich überzeugt.
Um bereits im Hier und Jetzt die Weichen zu stellen, sollten die politischen und industriellen Entscheider die ersten mutigen Schritte machen oder denen folgen, die dies bereits tun. Frei nach Hensel-Börner:
Walk the Talk! Da bin ich zuversichtlich, dass sehen wir (bereits) bei den jungen Leuten … (Wir brauchen) nur Mut, dann schaffen wir das mit dem Klimawandel!